Diskutieren Sie bitte, ob es zur Verbesserung der Qualität schulischer Bildung beiträgt, wenn Mädchen und Jungs nach Geschlechtern getrennt unterrichtet werden. Stellen Sie den Text in einer ÜFO vor.
Die Jungenfalle/Von Anja Kühne – Der Tagesspiegel, 3.6.2009
Jungen sind das neue schwache Geschlecht, lautet eine verbreitete These. Schon seit einigen Jahren bemühen sich viele Pädagogen und Journalisten, die Aufmerksamkeit weg von den lange als benachteiligt geltenden Mädchen hin zu den Jungen zu lenken. „Die Krise der kleinen Männer“, titelte die Zeit, „Böse Buben, kranke Knaben“ textete der Spiegel und „Naht die Männerdämmerung?“, fragte die Stuttgarter Zeitung. Immer neue Bücher erscheinen mit Titeln wie Kleine Jungs – Große Not, Jungen in der Krise oder Die Jungenkatastrophe.
Der Befund: Die Jungen sind von den Mädchen beim Abitur überholt worden, während sie unter den Hauptschülern und Schulabbrechern (58 Prozent) und Sitzenbleibern (2,7 Prozent des Jahrgangs 2007 gegenüber 2,2 Prozent bei den Mädchen) die Mehrheit stellen.
Die Ursache sehen die Autoren darin, dass die Schule sich jahrzehntelang auf die Mädchenförderung fokussiert habe. Auch würden die überwiegend weiblichen Lehrkräfte die Jungen – sei es unbeabsichtigt – zu einem Verhalten zwingen, das sich am weiblichen Geschlecht orientiere. So werde die männliche Bewegungslust von Lehrerinnen als Störung angesehen, ebenso wie „spielerisches Kräftemessen“, „mit dem Jungen eine spätere männliche Qualität im Berufsleben einüben, Fairplay statt Zickenterror“, wie der Buchautor Thomas Gersterkamp schreibt. An den Maßstäben für Mädchen gemessen und um männliche Rollenvorbilder gebracht, versagten viele Jungen schließlich. (...)
Ein ganzes Geschlecht kommt in der Schule zu kurz – das wäre ein Skandal. Doch sind die Jungen wirklich die Verlierer im Bildungssystem? Nein, sagt Detlef Pech, Professor für Grundschulpädagogik an der Humboldt-Universität: „Der aktuelle Jungen-Diskurs verkürzt die Realität tragisch.“ In der Tat würden mehr Jungen scheitern als Mädchen. Bedroht seien aber keineswegs alle Jungen, sondern solche aus schwachen sozialen Milieus, darunter viele mit Migrationshintergrund. Auch Mädchen aus sozial schwachen Familien versagen dramatisch häufig: „Darum darf man die benachteiligten Schüler nicht gegeneinander ausspielen.“ (...)
Bildungserfolge hängen sehr stark von der sozialen Herkunft ab. Als weiterer Faktor kommt das Geschlecht hinzu. Insofern muss durchaus gefragt werden, wie Jungen und Mädchen optimal zu fördern sind. Denn beide Geschlechter werden gemäß der gesellschaftlichen Normen und Stereotype geprägt, die zu Erfolgen oder Misserfolgen in Bildung und Beruf beitragen. (...)
Auch in der Schule können sich Männlichkeitsnormen nachteilig auswirken. Wer unter seinen Mitschülern nicht als Streber, sondern als „echter Junge“ anerkannt sein will, hat den Beweis dafür zu erbringen, indem er Lesen „uncool“ findet und im Unterricht stört. Von einem solchen „negativen Männlichkeitsdruck“ getrieben fühlen sich zumal solche Schüler, deren soziale Herkunft ihnen sonst kaum Chancen für andere „Statusgewinne“ eröffnet.
Würde eine Männerquote helfen, wie der Pädagoge Klaus Hurrelmann sie gefordert hat? Überwältigend hoch ist der Anteil von Lehrerinnen nur in der Grundschule (88 Prozent). Wenn es um die Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften geht, gibt es am Ende der Grundschulzeit aber „mitnichten ein gender gap“ (sinngemäß übersetzt: Geschlechterlücke), schreiben die Forscher der großen Schuluntersuchung Timss: Jungen leisten so viel wie Mädchen.
Auch geschlechtergetrennter Unterricht ist keine Lösung. Er ist aufwendig, seine Wirkung aber umstritten. So besteht eine weitere Forderung darin, den Jungen mit „jungengerechten“ Unterrichtsmaterialien zu helfen. An verunsicherte Lehrkräfte wendet sich der neue Ratgeber „Jungen besser fördern“ (Cornelsen Verlag): „Jungen möchten gern den Umgang mit Hammer und Nägeln lernen, Jungen haben Spaß, ihre Kräfte zu messen, Jungen schreien sich auch einmal an, ohne beleidigt zu sein, Jungen lernen in einem eigenen Tempo“, schreibt Herausgeberin Gabriele Cwik, Schulrätin in Essen. Daraus folgt für sie: „Im Unterricht wird öfter eine Möglichkeit für einen Wettkampf eingebaut, gemeinsam werden Formen der körperlichen Auseinandersetzung erprobt, die keinen Schaden anrichten.“ Die Jungen sollen „Knobelaufgaben mit Fußballbundesligatabellen“ lösen. (...)
Männlichkeit ist „eine soziale Tatsache“, sagt Budde. Doch so, wie sich in den vergangenen 30 Jahren die Rollen der Frau aufgefächert hätten, könne sich auch das Männerbild wandeln – und dennoch die Bildung „einer stabilen Identität“ erlauben.